Der Weg des Schriftstellers Thomas Mann (1875-1955) zur Demokratie ist verschlungen. Er beanspruchte für sich das Bürgerrecht, unpolitisch zu sein, und wollte alles Politische weitestgehend dem Staat und seinen Experten überlassen. In der Auffassung gesellschaftlichen Zusammenlebens sah er zwischen Deutschland und Russland weit mehr Gemeinsamkeiten als zwischen Deutschland und den westeuropäischen Demokratien, deren Regierungsform ihm keinesfalls zu den Deutschen zu passen schien. Sein Umdenken setzte erst später ein, und nach der Ermordung des liberalen Außenministers Walter Rathenau durch Rechtsradikale im Sommer 1922 hielt er der Weimarer Republik mit landesweitem Echo eine programmatische Rede unter dem Titel „Von deutscher Republik“. In wenigen Jahren wurde Thomas Mann danach zum gewichtigsten Fürsprecher der Demokratie unter Deutschlands Schriftstellern und zu ihrem nimmermüden Verteidiger gegen eine stetig wachsende Zahl von Feinden.
Einige seiner Arbeiten zum demokratisch-republikanischen Komplex sind heute viel zu wenig bekannt. Sie sollen durch den etwa einstündigen Vortrag bekannter gemacht und zur Diskussion gestellt zu werden. Thomas Manns 150. Geburtstag dürfte wohl der richtige Anlass dafür sein – zumal dieser auch noch in Zeiten fällt, in denen antidemokratisches Denken und Fühlen in Deutschland wieder verstärkt um sich greifen.
Kurt Oesterle wurde geboren 1955 in Oberrot / Nordwürttemberg. Er wurde ausgezeichnet mit dem Theodor-Wolff-Preis, dem Berthold-Auerbach- Preis sowie dem Ludwig-Uhland-Förderpreis. Er lebt in Tübingen.